Geschichten aus meiner Kindheit
Der Geruch von verbranntem Schießpulver lag in der Luft, der Geschmack von amerikanischem Kaugummi in unseren Mündern. Es war eine Zeit, in der die Welt für uns Jungs auf das Dorf und die Abenteuer darin begrenzt war. Die Amis kamen regelmäßig zum Manöver und brachten einen Hauch von Wildem Westen mit – dazu gehörten auch Essenspakete, vollgepackt mit Köstlichkeiten, die wir uns in unserer kargen Nachkriegszeit nur erträumen konnten. Doch am spannendsten war die Übungsmunition. Wenn die Soldaten abgezogen waren, sammelten wir die Patronen wie Trophäen, schnitten sie auf und entzündeten das Pulver. Nichts brannte so befriedigend wie das Schwarzpulver, das wir mit staunenden Augen abbrennen ließen, als hätten wir den Schlüssel zu einem geheimen Zauber gefunden.
Beim Schrotthändler um die Ecke entdeckten wir alte Gewehre ohne Lauf. Für uns war das kein Hindernis, sondern eine Herausforderung. Ein Stock diente als Lauf, und vorne befestigten wir einen dicken Gummi. Unsere Impro-Gewehre waren die besten Steinschleudern des Dorfes, und wir gingen stolz wie die größten Erfinder damit auf unsere „Missionen“.
An einem Sonntagvormittag traten mein Freund und ich also zum großen Waffentest an. Meine Eltern waren daheim, und wir wollten zeigen, was wir gebaut hatten. Wir luden die Gewehre – Stein in die Gummilasche, spannen, zielen, loslassen – und zack, Treffer! Mein Vater blickte zu uns, nahm das Gewehr meines Freundes und testete es, ein anerkennendes Nicken im Gesicht. Er nahm einen Stein, spannte den Gummi, und zielte. Ein Volltreffer. Mein Freund strahlte vor Stolz.
Ich stand daneben mit meiner eigenen Waffe, im gleichen Stil gebaut, mit der gleichen Liebe zum Detail. Doch mein Vater blickte kein einziges Mal zu mir. Kein Nicken, kein anerkennender Blick, nicht ein Wort. Er drehte sich um und ging, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Da konnte ich nicht anders. Mit zusammengebissenen Zähnen und brennendem Zorn zielte ich auf das nächstgelegene Ziel – die Fensterscheibe des Nachbarn. Der Stein flog, und das Glas zerbrach mit einem befriedigenden Klirren. Ein kleiner Moment der Rache, ein kurzer Triumph über die stetige Erniedrigung, die mich immer wieder heimsuchte, besonders im Beisein von Freunden.
Es war, als hätte ich mich in diesem Moment für all die kleinen und großen Wunden gerecht, die mein Vater mir durch seine Gleichgültigkeit zugefügt hatte. Doch der Ärger, der folgte, war unbarmherzig. Das Klirren der Scheibe war verklungen, aber das Gefühl der Zurückweisung blieb.
Sandra Bernadett Grätsch
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