Fernweh und Realität – Die bittere Ironie des Alterns

 


Ach, das Fernweh. Diese romantische Sehnsucht nach fernen Ländern, Abenteuern und dem süßen Gefühl der Freiheit. Früher, als ich jung war, war mein Leben ein Drehbuch, in dem ich die Hauptrolle spielte: Der tapfere Held, der im Alter nach Italien auswandern würde, um dort unter der Sonne zu leben und den Tag mit einem Glas Rotwein ausklingen zu lassen. Aber jetzt, wo das Alter gekommen ist, hat das Drehbuch eine unerwartete Wendung genommen. Abenteuer? Eher nicht. Italien? Ja, im Traum vielleicht – und selbst da werde ich vom Wecker meines Alltags unsanft geweckt.

Die Realität ist eine strenge Lehrerin, die mir gnadenlos beibringt, dass das Leben ein Marathon ist, kein Sprint. Und mein Marathon besteht nun darin, meinen Lebensstandard zu sichern – nicht durch Entdeckungsreisen, sondern durch Arbeit. Der jugendliche Enthusiasmus, in den Sonnenuntergang zu reiten, ist längst verflogen. Stattdessen reite ich im Kreis, immer den gleichen Arbeitsalltag entlang, wie ein Esel, der an den Mühlstein gekettet ist.

In meiner Jugend dachte ich: "Wenn ich alt bin, wandere ich aus!" Jetzt, wo ich alt bin, weiß ich: "Ich brauche meine Ärzte in der Nähe." Die Gesundheit, einst eine Nebensache, ist zum Hauptdarsteller meines Lebens geworden. Ein italienischer Strand ist schön, aber was nützt er mir, wenn ich die Apotheke nicht in der Nähe habe? Und die Scheidung? Nun ja, die hat nicht nur das Herz, sondern auch den Geldbeutel leichter gemacht.

Wäre ich in Österreich, so denke ich oft, dann wäre alles einfacher. Dort scheint das Leben für Rentner weniger steinig, die Berge vielleicht hoch, aber die Hürden niedriger. Aber ich lebe in Deutschland – einem Land, das die Jugend feiert und die Alten... nun ja, uns Alten bietet man bestenfalls noch den nächsten Werbeblock für Treppenlifte an. Wer braucht schon Erfahrung, Weisheit und Lebensgeschichte, wenn frische Ideen und jugendlicher Elan glänzen? Wir Alten? Schrott. Überflüssig. So fühlt es sich manchmal an.

Doch bevor ich mich im Selbstmitleid ertrinke, muss ich mich daran erinnern: Wir haben dieses System doch selbst gebaut. Wir haben gewählt, wir haben entschieden, welche Politiker uns in diese Lage bringen. Die Franzosen? Die lassen sich das nicht gefallen, die gehen auf die Straße, wenn ihre Renten bedroht sind. Und wir? Wir klagen leise, seufzen, und setzen uns dann wieder in unseren bequemen Sessel.

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Das Fernweh bleibt, tief in der Seele. Aber die Abenteuer? Sie müssen wohl warten – vielleicht bis zur nächsten Wahl.

Sandra Grätsch

Kommentare