Nach Vorberatung am 23.11. 2020 im Kulturausschuss hat die
Stadtverwaltung in der Sitzung des Stadtrates am 10.12.2020 denAbschlussbericht der Würzburger Kommission zur Überprüfung der
Straßennamen zur Beratung vorgelegt.
Im Oktober 2015 hatte der Würzburger Stadtrat die Einsetzung einer
Fachkommission beschlossen, welche die Benennung von Straßen nach
Personen untersuchen sollte, „deren aktive Lebensphase in die NS-Zeit
fällt und von denen anzunehmen ist, dass sie sich in dieser Zeit
diskreditierende Handlungen zuschulden kommen ließen“. Deren Verhalten
sollte unter Berücksichtigung von Verdiensten und Verfehlungen gewürdigt
und eine Empfehlung zum Umgang mit diesen Ehrungen abgegeben werden.
Entsprechende Untersuchungen fanden zuvor bereits in anderen deutschen
Städten, etwa in Freiburg, Münster oder Oldenburg, statt und stießen
dort auf ein großes öffentliches Interesse.
Die Stadt Würzburg stellt sich damit ihrer Verantwortung und arbeitet
nicht nur die städtische Geschichte während der NS-Zeit auf, sondern
auch den späteren Umgang mit den in dieser Zeit Handelnden. Diese
Aufarbeitung ist der Stadt nicht zuletzt auch wichtig, da heute immer
unverblümter gewisse politische Strömungen die Bedeutung eines mahnenden
Erinnerns an die NS-Zeit sowie die Notwendigkeit, aus den bedrückenden
Geschehnissen dieser zwölf Jahre zu lernen, mehr und mehr zu
relativieren versuchen.
Mitglieder der Kommission waren:
· der städtische Kulturreferent als Vorsitzender (bis Anfang 2018
Herr Muchtar Al Ghusain, danach Herr Achim Könneke),
· der Leiter des Stadtarchivs (Herr Dr. Axel Metz),
· der Heimatpfleger der Stadt Würzburg (Herr Dr. Hans Steidle),
· vier Vertreter der Wissenschaft (Frau Dr. Ingrid Heeg-Engelhardt
(bis 2017) / Frau Dr. Hannah Hien (ab 2018), Staatsarchiv Würzburg; Herr
Prof. Dr. Peter Hoeres, Universität Würzburg; Frau Dr. Bettina Keß,
Kulturplan, Würzburg; Herr Dr. Niels Weise, Institut für Zeitgeschichte,
München-Berlin),
· vier Mitglieder des Stadtrats (Herr Willi Dürrnagel, Herr
Heinrich Jüstel, Frau Benita Stolz, Herr Jürgen Weber).
Am 20. Juni 2016 traf sich die Kommission zu ihrer konstituierenden
Sitzung. Insgesamt trat sie 17 Mal zusammen. Die Kommission beschäftigte
sich hierbei mit 120 Straßennamen, deren Patinnen und Paten vor 1928
geboren wurden und die zwischen 1933 und 1945 gelebt haben. Weitere acht
Straßennamen, die seit 2016 benannt wurden, wurden zusätzlich
untersucht.
30 dieser Straßen sind offensichtlich nach erklärten Gegner*innen
oder/und Opfern des NS-Regimes benannt, so etwa die Geschwister Scholl,
Herta Mannheimer oder Kurt Schuhmacher. Diese Straßennamen wurden keiner
detaillierten Forschung unterzogen.
Für jede der übrigen 92 Straßennamen wurde in einem ersten
Arbeitsschritt nach einem festgelegten Raster durch Beschäftigte des
Stadtarchivs, von Mitgliedern der Kommission und von zusätzlichen
externen Fachkräften grundsätzliche biographische Informationen
recherchiert. Dadurch wurde ermittelt, ob und in welchen Kontexten
überhaupt eine NS-Belastung bestehen könnte. Nach Auswertung dieser
Biogramme und vielfach erforderlichen weiteren Quellenforschungen in
diversen Archiven konnte die Kommission nach intensiven Beratungen den
Kreis der womöglich oder offensichtlich problematischen Biographien auf
eine niedrige zweistelligen Zahl eingrenzen. Seit 2016 wurden weitere
acht Straßen benannt, von denen sechs nach Gegnern oder Opfern des
Nationalsozialismus benannt wurden, zwei wurden von der Kommission
zusätzlich genauer überprüft.
Intensiv hat die Kommission vor Eintritt in die Einzelbewertungen über
die zentrale Herausforderung beraten, anhand welcher Maßstäbe heute eine
gerechte bzw. politisch und historisch verantwortbare Bewertung von
Biographien damaliger Zeitgenossen vorgenommen werden kann und sollte,
die neben Verfehlungen auch Verdienste aufzuweisen hatten.
Unter Berücksichtigung der historischen Hintergründe hat sich die
Kommission schließlich dafür entschieden, reines Mitläufertum als nicht
ausreichend für eine besondere Empfehlung anzusehen. Ein solches
Mitläufertum sieht sie bei jenen Personen als gegeben an, die das
NS-Regime durch ihr Handeln gestützt haben, ohne in besonderer Weise
aktiv in Erscheinung zu treten oder an Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen
gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen zu sein.
Hingegen wurden die Beteiligung am NS-Repressionsapparat oder
Zuträgerdienste für diesen von der Kommission als erhebliche
Belastung gewertet. Ebenfalls negativ gewertet wurde es, wenn Personen
aktiv die NS-Herrschaft stützten und als Profiteure derselben in
Erscheinung traten.
Schließlich gab die Kommission jeweils nach intensiver Prüfung in neun
Fällen besondere Empfehlungen (Umbenennung, Kontextualisierung,
öffentliche Diskussionsveranstaltung) ab.
Eine Umbenennung empfiehlt sie in folgenden Fällen:
· Heiner-Dikreiter-Weg (Sanderau)
· Nikolaus-Fey-Straße (Heidingsfeld)
· Schadewitzstraße (Frauenland)
· Hermann-Zilcher-Straße (Frauenland).
Für eine Kontextualisierung des Straßennamens durch die Bereitstellung
ausführlicher Informationen in elektronischen Medien (mit entsprechenden
Hinweisen am Straßenschild) spricht sich die Kommission im Falle
folgender Straßen aus:
· Armin-Knab-Straße (Frauenland)
· Peter-Schneider-Straße (Frauenland)
· Richard-Strauss-Straße (Frauenland).
Im Falle des Karl-Ritter-von-Frisch-Wegs (Frauenland) empfiehlt die
Kommission eine Umbenennung oder Kontextualisierung. Da es sich um einen
öffentlich nicht gewidmeten Weg im Eigentum des Freistaats Bayern
handelt, muss hier vor Umsetzung einer solchen Maßnahme das
Einverständnis des Eigentümers eingeholt werden.
Schließlich spricht sich die Kommission im Falle des
Kardinal-Faulhaber-Platzes (Altstadt) für eine öffentliche städtische
Diskussionsveranstaltung hochrangiger Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler über das Verhalten des Namenspaten in der NS-Zeit aus,
in deren Anschluss der Stadtrat darüber entscheiden kann, ob eine
Kontextualisierung bzw. eine Umbenennung des Platzes vorgenommen werden
soll.
Zu verschiedenen anderen Namenspaten hat die Kommission keine
expliziten Empfehlungen abgegeben, jedoch hat sie dort den Bedarf für
weitere wissenschaftliche Untersuchungen gesehen, die im Rahmen der
Kommissionsarbeit nicht geleistet werden konnten.
Es verdient hervorgehoben zu werden, dass sich die Erhebung der
einschlägigen Informationen zu vielen Namenspatinnen und -paten als
sehr aufwändig erwies, insbesondere wenn Quellen zu ihnen in entfernt
gelegenen Institutionen verwahrt werden. Gleichwohl hat sich die
Kommission dieser Aufgabe mit großer Verantwortung gestellt, intensiv
recherchiert, die Rechercheergebnisse unbefangen beraten und schließlich
sehr abgewogene, differenzierte und gut begründete Empfehlungen
abgegeben. Kulturreferent Achim Könneke dankte in der Sitzung des
Stadtrates der Kommission und dem Stadtarchiv ausdrücklich für ihre
gewissenhaften und gründlichen wissenschaftlichen Recherchen und die
sehr ausgewogenen und sachlichen Diskussionen, die aus seiner Sicht sehr
gut begründete und nachvollziehbare Empfehlungen ergeben haben. Er fügte
hinzu: "Die Kommission ist ihrer schwierigen und sehr
verantwortungsvollen Aufgabe mit großer Sensibilität und Expertise
nachgekommen. Der Stadtrat hat nun ausreichend Gelegenheit, sich
intensiv auf Basis der Empfehlungen zu beraten und die richtigen
Entscheidungen zu treffen. Die Stadt stellt sich mit diesem Prozess
ihrer besonderen Verantwortung vor der Stadtgeschichte. Gerade heute, da
Ausgrenzung von Minderheiten, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und
Antisemitismus immer unverblümter und offener wieder bis in die Mitte
unserer Gesellschaft, Parlamente und Stadträte salonfähig werden, zeigt
sich, wie bitter notwendig diese Auseinandersetzung ist und bleibt."
Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass mit diesem Bericht eine gute
Grundlage nicht nur für die Diskussion der Thematik im politischen Raum,
sondern darüber hinaus in der Stadtgesellschaft insgesamt vorhanden ist.
Folgende weitere Zeitschiene wurde vom Stadtrat nun festgelegt:
Voraussichtlich im Februar wird der Stadtrat einen Grundsatzbeschluss zu
den empfohlenen Umbenennungen und Kontextualisierungen beraten und
fassen. Die Arbeit an den Kontextualisierungen soll in den darauf
folgenden Monaten stattfinden. Die Öffentlichkeit wird auch durch zwei
Infoveranstaltungen im Sommer/Herbst 2021 eingebunden. Eine
Veranstaltung dient hierbei insbesondere auch der Information aller
betroffenen AnwohnerInnen. Zudem ist ein Expertenhearing zu Kardinal
Faulhaber geplant.
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