Zwischen Abenteuer und Anpassung: Ein Neubeginn im anderen Dorf

 


Geschichten aus meinem Leben

Als die Entscheidung meiner Eltern fiel, das Haus in R....  zu bauen, war das für meine Geschwister und mich wie ein Umzug ans Ende der Welt. Obwohl der neue Ort kaum acht Kilometer entfernt war, fühlte es sich für uns damals wie eine halbe Weltreise an. Alles war anders: Die Menschen, die Sprache – selbst die Sitten schienen wie aus einer anderen Zeit. Im „alten“ Dorf war der Pfarrer zwar eine respektierte Persönlichkeit, aber mehr auch nicht. Hier in R.....  liefen die Kinder ihm entgegen, um ihm ehrfürchtig den Ring zu küssen – eine Geste, die uns fremd und fast schon abstoßend erschien.

In unserem alten Ort gab es bereits italienische Familien, die ganz normal zur Dorfgemeinschaft gehörten. Aber hier in R....  waren wir die „Neigschmeckten“ – die Zugezogenen, die Fremden. Die Einheimischen schienen uns argwöhnisch zu beäugen, als wären wir Eindringlinge.

Der Wechsel in die neue Schule war für mich ein Abenteuer und eine Herausforderung zugleich. Im alten Dorf gab es getrennte Schulen für katholische und evangelische Kinder, und die beiden Gruppen hatten kaum Kontakt miteinander. In R.....  hingegen gab es nur eine Schule, und dort waren fast alle katholisch. Trotz dieser Umstellung fühlte ich mich schnell wohl: Der neue Lehrer schien sich tatsächlich für jeden einzelnen Schüler zu interessieren – eine Erfahrung, die ich in Gochsheim nie gemacht hatte. Dort war mein Lehrer mehr daran interessiert, sich regelmäßig hinter die Tafel zurückzuziehen, um heimlich Alkohol zu trinken, als den Schülern zuzuhören. In R......  jedoch hatte ich das Gefühl, dass meine Leistung und mein Wohlergehen zählten. Meine Noten verbesserten sich, und die Schule wurde für mich zu einem Ort, an dem ich gerne lernte.

Mit der Zeit fand ich in R.....  auch neue Freunde, und wir gründeten einen „Indianerclub“, inspiriert von unseren Fernsehhelden. Wir bauten Hütten im Wald, stauten den Bach, und verbrachten ganze Nachmittage damit, durch das Dickicht zu streifen. Diese Ausflüge waren für uns wie kleine Abenteuerreisen, und ich lernte, die Natur um uns herum wirklich zu schätzen. Hier gab es keine geteerten Straßen; wenn es regnete, blieb der Matsch tagelang. Gummistiefel waren für uns das wichtigste Schuhwerk, um überhaupt ins Haus zu kommen.

Ein Erlebnis jedoch bleibt mir bis heute in lebhafter Erinnerung – ein beinahe tödlicher Unfall im Keller. Es regnete stark, und das Wasser drang unaufhaltsam durch die Wände. Mein Vater, der anfangs immer nur mit Eimern und Bechern schöpfte, beschloss eines Tages, eine elektrische Pumpe aus der Firma zu benutzen. Doch der benötigte Starkstrom, und die improvisierte Installation waren alles andere als sicher. Als ich eines Nachmittags barfuß in den Keller ging, um die Pumpe zu betätigen, bekam ich einen Stromschlag, der mich meterweit zurückwarf. Die Paniksicherung löste schließlich aus, und ich entkam nur knapp einer Katastrophe. Danach bekamen wir eine kleine, gesicherte Pumpe, und einige Jahre später wurde die Straße asphaltiert, was das Problem endgültig löste.

Die Jahre in R...... waren eine prägende Zeit für mich. Ich fand enge Freundschaften, entwickelte handwerkliche Fähigkeiten und genoss die Freiheit, die das Dorfleben bot. Mit meinem besten Freund, der in der Nachbarschaft wohnte, tüftelte ich an allerlei selbstgebauten „Erfindungen“: Wir bastelten Alarmanlagen, Klingeln und Telefonanlagen aus allem, was wir finden konnten. Auf den Feldwegen drehten wir mit dem Moped seines Vaters unsere Runden – er war das handwerkliche Genie, und ich brachte die Ideen ein. Gemeinsam waren wir ein unzertrennliches Team.

Sandra Bernadett Grätsch


Kommentare