Verkehrsromantik oder: Das Drama der Hauptstraße



Geschichten meines Lebens

Manchmal frage ich mich, ob der Verkehr von heute nicht die poetischste Form der Langeweile ist, die es gibt. Es ist ein stetes Kommen und Gehen, ein orchestriertes Blechballett aus Hupen, Bremsen und hin und wieder auch dem gellenden Fluch eines verzweifelten Autofahrers. Aber früher, ja früher, da hatte der Verkehr noch etwas Abenteuerliches. Zumindest für uns Kinder.

Wir, ein paar gelangweilte Philosophen mit Milchbärten, hockten im Hof und dachten nach. Philosophierten über das Leben, die Autos, den Sinn und Unsinn dieser vielen Kisten, die vor unserem Haus vorbeizogen. Und da kam uns eine geniale Idee. Eine dieser Ideen, die nur der kindlichen Langeweile entspringen kann – wie wäre es, wenn wir die Straße einfach sperren? Ja, einfach zumachen! Die Autos sollten sich gefälligst einen anderen Weg suchen.

Doch wie sperrt man eine Straße, fragte sich unser kindlicher Ingenieurgeist. Die Antwort war offensichtlich: mit Steinen. Zum Glück lagen diese auch griffbereit, fein gestapelt wegen einer Baustelle. Was will man mehr? Also los, Steine in den Böllerwagen (das nannte man damals Nachhaltigkeit) und ab auf die Hauptstraße. Wir stapelten die Steine – erst ein paar am Rand, dann immer weiter Richtung Mittellinie. Die Fußgänger stiegen mit einer Mischung aus Amüsement und Akrobatik über unser Bauwerk, und die Autofahrer, naja, die waren kreativ und fuhren drumherum. Nur der eine oder andere hupte mal oder schimpfte ein bisschen. Keiner hielt an. Das waren noch Zeiten, als Verkehr keine hochfrequentierte Hölle, sondern eine entschleunigte Form der Hürdenlaufübung war.

Doch unsere harmonische Straßensperre wurde jäh unterbrochen, als sich der unvermeidliche Held der Ordnung näherte: der Dorfpolizist. Ja, damals gab es den noch. Mit Motorrad, Uniform und einem Gesicht, das „Ruhe und Ordnung“ quasi symbolisierte. Als wir ihn kommen sahen, bekamen wir plötzlich überraschend wichtige Termine. Die Beine nahmen wir in die Hand, schneller als jedes Auto auf der Hauptstraße, und suchten Zuflucht im einzigen Ort, der vor erwachsenen Konsequenzen sicher war – dem Keller.

Der Keller, dieser Unterschlupf vor der Ungerechtigkeit der Erwachsenenwelt, war ein wunderbarer Ort, um zu warten, bis der Sturm sich gelegt hatte. Und tatsächlich, nach etwa zwei Stunden wagte ich mich nach oben. Meine Eltern waren bereits zu Hause, alles war normal. Bis es klingelte. Vor der Tür: der Dorfpolizist. Hätte man mich in diesem Moment angestochen, es wäre kein Blut geflossen. Mein Vater trat hinzu, und ich überlegte kurz, ob Keller nicht vielleicht doch eine dauerhafte Wohnalternative für mich wäre. Doch zu meiner Verwunderung wollte der Polizist nur wissen, ob wir "etwas beobachtet hätten". Niemand hatte natürlich etwas gesehen, und so verabschiedete sich der Gesetzeshüter wieder. Noch heute denke ich, dass er meine Angst gesehen hat und mich deshalb nicht verraten hat. Danke, Herr Dorfpolizist, das war Ehrenmann-Verhalten.

Doch nicht nur Steine waren ein Mittel der kreativen Verkehrsregelung, auch Lehmkugeln erwiesen sich als wertvolles Werkzeug in unserer Kindheitswerkstatt der Abenteuer. Ein 2-Meter-Tor wurde zum Ziel unserer kräftigen Würfe, die Mädchen kneteten Lehm, die Jungs wälzten sich in wilder Aktion – bis eines Tages ein besonders nasser, matschiger Wurf das Schicksal herausforderte. Ich überwarf das Tor, und es folgte das, was man als "Kindheitskatharsis" bezeichnen könnte: Reifen quietschten, ein weißes Mercedes-Cabrio hielt an, und ein Fahrer mit Lehmbad schrie uns die Schamesröte ins Gesicht. Wieder hieß es: Ab in den Keller.

Diesmal folgte sogar ein offizieller Besuch des Polizisten, garniert mit einer Vaterohrfeige und der Mahnung, keine „bösen Kinder“ zu sein. Wir versprachen es, und ich muss sagen, wir hielten uns daran. Keine Lehmkugeln mehr, keine Steine auf der Straße. Vielleicht war es die Reife, die in unser Leben einzog. Vielleicht auch einfach nur die Furcht vor weiteren Kellerstunden.

Heute sehe ich mir den Verkehr von damals und den von heute an und denke: Was würde passieren, wenn Kinder heutzutage eine Hauptstraße mit Steinen sperren würden? Wahrscheinlich wären die Eltern schneller verklagt, als man "Lehmkugel" sagen kann. Aber was soll’s, für uns war es die beste Zeit. Und wenn ich heute wieder mal im Stau stehe, sehne ich mich fast ein bisschen nach einer Straßensperre aus Kinderhänden – einfach um das Blechballett für einen Moment anzuhalten und zu denken: Ja, damals, da war Verkehr noch ein Abenteuer.

Sandra Bernadett Grätsch

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