Geschichten aus meinem Leben
Haustiere und Eltern: zwei Konzepte, die sich nicht immer zwangsläufig ergänzen. Besonders dann nicht, wenn man als zehnjähriges Kind den unschuldigen Wunsch nach einem eigenen Tier äußert. Man stellt sich in solch einem Alter ja vor, mit einem kleinen Freund durch dick und dünn zu gehen, vielleicht mit einem Hund, einer Katze, oder - im schlimmsten Fall - einem Hamster. Doch ich, Kind hinter einem Pfarrhaus, bekam die nächste Eskalationsstufe: einen Hasen. Nicht etwa in der Wohnung, im warmen Heim mit Kissen und Kuscheln, sondern draußen, im Stall, als wäre ich eine Vorfahrin der russischen Kaltkriegsüberlebenskünstler.
Man muss sich das vorstellen: Da stand ich, stolz und strahlend, mein erster Hase – mein einziger Freund im Jahr der Vereinsamung, in dem mich meine Mitschüler mieden wie ein überfahrenes Stinktier. Ich hatte ja kaum Freunde; mein Hase war einer der wenigen, die nicht von der seltsamen Kombination aus Warze und schüchternem Wesen abgeschreckt wurden.
Alles ging gut – etwa ein halbes Jahr lang. Der Hase und ich wurden quasi ein eingespieltes Team. Ich war das Kind mit dem geheimen Freund hinter dem Pfarrhaus, und er war der Hase, der überlebt hatte. Nun ja, zumindest bis zu diesem schicksalhaften Tag, an dem ich nach Hause kam und meinen Vater sah, wie er ihm das Genick brach.
Ein emotionaler Doppelschlag folgte: zuerst der Moment, in dem mir klar wurde, dass mein bester Freund gerade auf grausame Weise abberufen wurde – nicht etwa, weil er eine Hasenrevolution angezettelt hatte, sondern weil es „an der Zeit“ war, wie meine Mutter später so pragmatisch erklärte. Ja, die hatte Verständnis für das Timing von Tierschlachtungen, so viel ist klar. Danach folgte der zweite Schlag – im wahrsten Sinne des Wortes – als mein Vater mich anschrie, endlich mein „Essen“ zu essen. Da lag er, mein Hase, verpackt in Klöße und Blutsoße, als würde das noch mehr Geschmack hinzufügen. Wer konnte da schon widerstehen?
Das Gespräch am Tisch war erhellend: „Wenn die Hasen zu alt werden, schmecken sie nicht mehr.“ Ah, danke für die Lebensweisheit, liebe Eltern! Eine steife, aufsteigende Kälte breitete sich in mir aus. Mit zehn wusste ich dann endgültig: So sieht Verrat aus. Ich hatte mir meinen ersten Freund in Hasengestalt erhofft und bekam stattdessen einen Grundkurs im Nihilismus.
Natürlich war es mit Schweigen am Tisch nicht getan. Irgendwann kam der unausweichliche, elterliche Tornado, der mich vor die Tür schleuderte, als würde er sagen: „Lerne es wie ein Mann! Oder friere halt!“ Na, vielen Dank. In dem Moment wäre selbst eine Umarmung des eisigen Herbstwinds fast herzlich gewesen, wäre da nicht die Barmherzigkeit des Pfarrers gewesen, der mich schließlich wieder ins Haus brachte.
Jetzt, so viele Jahre später, frage ich mich: War es ein pädagogischer Versuch in stoischer Abhärtung? Oder einfach ein über Generationen gewachsenes Missverständnis darüber, was kindliche Zuneigung ist? Eine Antwort werde ich wohl nie bekommen. Aber eines ist sicher: Wenn ich je wieder „Hasenpfeffer“ auf einer Speisekarte sehe, werde ich still das Weite suchen.
Sandra Bernadett Grätsch
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