Schweinfurt: Moderne Wirtschaft ohne Wachstumszwang – ein Wunschtraum?


Schweinfurt. Prof. Dr. Christoph Deutschmann regte mit seinen Thesen zur Wirkungsweise des Wachstumszwangs im Kapitalismus die 50 Teilnehmenden des DGB Forum Unterfranken im Schweinfurter Naturfreundehaus nachdrücklich an.

Dazu präsentierte der Tübinger Soziologe seine Gedanken zur Überwindung des Wachstumszwangs. Denn dieser ergäbe sich im Kapitalismus automatisch durch das Spannungsfeld zwischen Arm und Reich und die dadurch ausgelösten Auf- und Abstiegsprozesse in der gesellschaftlichen Mitte. Aus dem Glauben es nach oben schaffen zu können, entstünden in der Tat Innovationen, die in Produkte und Produktion umgesetzt eine wichtige Voraussetzung für Wachstum seien. Das gelte im Übrigen gleichermaßen für Selbstständige und Unternehmensgründer, wie für innovative Beschäftigte in den Unternehmen. Das Aufstiegsmotiv wirke somit als Motor für Erfindungen und Innovationen auf allen Ebenen des Wirtschaftssystems. Zusätzlich Bedingungen für Wirtschaftswachstum seien die Entgrenzung der Märkte, Bevölkerungswachstum, guter Bildungsstand, eine funktionierende Infrastruktur sowie ein funktionierendes Rechtssystem, das Eigentums- und Freiheitsrechte gewährleistet, so Deutschmann.

Nun erleben wir in den entwickelten Industrieländer Europas und den USA eine nachhaltige Wachstumskrise, die auch die deutsche Insel erreicht. Obwohl einige Wachstumsvoraussetzungen wie ein guter Bildungsstand der Bevölkerung, funktionierende Infrastruktur und die Rechtsstaatlichkeit in den Industrieländern weiterhin gewährleistet seien, fehle das Wachstum. Das läge laut Deutschmann an zweierlei. Erstens die absehbare Stagnation bzw. Schrumpfung der Bevölkerung und zweitens an der zum Stillstand gekommenen Aufstiegsdynamik. „Die Tendenz zur sozialen Polarisierung sei als internationales Phänomen enorm: Während die Einkommen und Vermögen der reichsten Schichten, unterstützt durch Erbschaften, stark angewachsen sind, nehmen die Abstiegsrisiken in der gesellschaftlichen Mitte zu. Eine extreme Ungleichheit der Einkommen und Vermögen, wie wir sie auch in Deutschland beobachten, beeinträchtigt die Aufstiegschancen und wirkt sich auch negativ auf chancenmotivierte Unternehmensgründungen aus.“ Für Deutschmann ursächlich für die Wachstumsschwäche sei die immer ungünstiger gewordenen sozialen Bedingungen für Unternehmensgründungen in den westlichen Ländern. So sei die Gründungsaktivität in Deutschland in den letzten Jahren rückläufig; der Saldo zwischen Gründungen und Liquidation sogar negativ.




Für den Tübinger Professor spricht vieles für eine langfristige Wachstumsschwäche oder gar eine Stagnation. Da aber eine kapitalistische Wirtschaft, die nicht mehr wächst, nicht einfach auf gleichbleibendem Niveau weitermachen kann, droht eine Dauerkrise. Das wäre dann kein Wunschtraum, sondern ein Albtraum.
Mit dieser Analyse als Grundlage, die Umweltprobleme, Klimawandel und Ressourcenknappheit ausklammerte, beschäftigte sich die Diskussion insbesondere mit den Vorschlägen von Prof. Deutschmann zur Umsteuerung der Wirtschaft hin zum Konzept des „Marktsozialismus“ (Weisskopf 1993, USA), als zukunftsweisende Idee. Weil der real existierende Kapitalismus dem Wachstumszwang durch den Gewinn- und Renditezwang ausgeliefert sei, brauche es ein Umdenken. Kern einer neuen Wirtschaftsordnung seien eigentumsrechtliche Veränderungen zur Überwindung der Trennung zwischen Arbeit und Kapital. Zur langfristigen, schrittweisen Umsetzung kämen die Mittel der Verstaatlichung zu große gewordener Banken ebenso in Frage, wie die Entwicklung genossenschaftlichen Eigentums. Deutschmann fordert „geduldiges“, nicht an schneller uns hoher Rendite orientiertes Kapital. Folglich müsse der reine Finanzanleger wie schon von John Maynard Keynes vor 80 Jahren gefordert den „sanften Tod“ sterben. Begleitend müssten durch steuerliche Maßnahmen große Vermögen abgeschmolzen werden, um eine Schrumpfung des Finanzsektors hervorrufen. Das alles bedeute nicht das Ende des Unternehmertums, das nicht nur im kommerziellen, sondern auch im sozialen und kommunalen Bereich mehr denn je gefragt sei.

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