Henry Dunant: Seine Idee lebt …

Henry Dunant: Seine Idee lebt …

BRK-Kreisverband Schweinfurt fährt an die Geburtsstätte des Roten Kreuzes

Schweinfurt. Jeder Rotkreuzler sollte einmal da gewesen sein! Wo? In Solferino natürlich. Der Geburtsort zur Gründung der Rotkreuz-Bewegung.

Am frühen Morgen des 21. Juni machten sich 49 Rotkreuzler aus dem BRK-Kreisverband Schweinfurt auf, um – anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Roten Kreuzes - den Spuren von Henry Dunant zu folgen. Die Fahrt führte über München und Innsbruck, vorbei am Gardasee nach Verona. Am späten Nachmittag wurde das Hotel erreicht. Bei einem gemeinsamen Abendessen begrüßte der BRK-Kreisvorsitzende Hartmut Bräuer die Reisegruppe und erläuterte den Grund der Fahrt.

Der zweite Tag war zunächst durch die kurze Anreise nach Solferino geprägt. Als die Stätten der Schlacht von Solferino erreicht wurden, waren alle gerührt von dem Rotkreuzgeist der der Gruppe in diesem kleinen Ort begegnete. Durch die umfassende Führung von Gästebetreuerin Francesca Cargnoni vom örtlichen Verkehrsbüro konnten die Teilnehmer der Reise eintauchen in die Umstände, die zur Schlacht von Solferino geführt haben. Hier hatte der Genfer Kaufmann Henry Dunant, der zur Zeit der Schlacht auf der Suche nach Napoleon III war, also die Idee zur Gründung einer unabhängigen Hilfsorganisation. Aus dieser Idee wurde später das Rote Kreuz. Zu sehen gab es viel: zunächst die grandiose lombardische Landschaft mit ihren kleinen Bergen und Tälern, die Knochenkapelle in Solferino und das örtliche Museum. Wie mühevoll mag wohl die Pflege und der Transport der Verwundeten vor über 150 Jahren gewesen sein?

Dunant berichtet später in seinem Buch "Eine Erinnerung an Solferino" wie folgt darüber:



Zeitgenössisches Bild der Schlacht von Solferino

„Als einfacher Tourist, und dem Zweck dieses großen Kampfes vollkommen ferne stehend, hatte ich, durch besondere Umstände begünstigt, das seltene Vorrecht, bei dem ergreifenden Schauspiele, das ich hier zu schildern versuchen werde, zugegen zu sein. Ich will übrigens in den folgenden Zeilen nur meine persönlichen Eindrücke wiedergeben [...].

Oesterreicher und Alliierte tödten einander auf den blutigen Leichnamen, sie morden sich mit Kolbenschlägen, zerschmettern sich das Gehirn, schlitzen sich mit Säbeln und Bajonetten die Leiber auf: kein Pardon wird mehr gegeben, es ist ein Gemetzel, ein Kampf wilder, wüthender, blutrünstiger Thiere, und selbst die Verwundeten vertheidigten sich bis zum Aeußersten; [...]

Dort findet ein ähnlicher Kampf statt, allein er wird noch schrecklicher durch das Nahen einer Sakadron Cavalerie, welche im Galopp heransprengt; die Pferde zertreten unter ihren Hufen Todte und Sterbende; einem armen Verwundeten wird die Kinnlade zerrissen, einem anderen die Hirnschale zerschmettert, einem Dritten, der noch zu retten gewesen wäre, die Brust eingetreten. In das Wiehern der Pferde mischen sich Flüche, Schmerzens- und Verzweiflungsrufe und Wuthgeschrei."

Nächster Schauplatz. San Martino della Battaglia
Auf dem höchsten Hügel von San Martino della Battaglia (so der heutige Name) ragt ein 74 Meter hoher Gedenkturm weithin sichtbar über die Landschaft, der nicht nur den Schiffen des südlichen Gardasees als Orientierung dient, sondern auch eine herrliche Aussicht über die gesamte Gardasee Region bietet. In unmittelbarer Nähe zum Turm, der in seinem Inneren mit Fresken der Schlacht versehen ist, befinden sich ein Museum zur Schlacht sowie eine Kapelle mit den Gebeinen von 2.619 gefallenen Soldaten. Zum Jahrestag fand hier die Nachstellung der historischen Schlacht statt.

Am Nachmittag führte die Reise nach Sirmione. Sirmione ist eine italienische Ortschaft mit über 8000 Einwohnern Sie liegt am Südufer des Gardasees. Ein Teil der Ortschaft ist auf der Halbinsel gelegen, die in den See hineinragt. Sirmione gehört zur Provinz Brescia in der italienischen Region Lombardei. Die Altstadt von Sirmione ist durch enge Gassen und ruhige Plätze geprägt, in denen der Besucher zahlreiche Boutiquen und Antiquitätenläden, Cafés und Restaurants findet. Die Scaligerburg mit einem großen Hafenbecken und einer Ringmauer schließt das Städtchen vom Festland ab. Die Scaliger bauten aus dem alten Römerkastell in Sirmione im 13. Jahrhundert (ab 1259) auf Wunsch des Stadtherrn von Verona, des Mastino I. della Scala, auf dem ersten der drei Hügel die wehrhafte Burg mit den typischen Schwalbenschwanzzinnen, die direkt am Wasser liegt und dem Hafen der Gardasee-Flotte Schutz bot. Sie diente vorrangig zur Verteidigung und Machtdemonstration der Scaliger und prägt heute das Bild von Sirmione. Nur über eine Zugbrücke gelangt man über die tiefen Wassergräben durch ein Portal mit den Wappen der Scaliger (eine Leiter) und der Venezianer (geflügelter Löwe) in die Burg, von der aus man den Zugang zur Ortschaft kontrollieren konnte. Schießscharten zeigen, wie die Burgsoldaten von hier aus den Weg nach Sirmione kontrollierten. Bei einem Rundgang über die Wehrgänge und durch die Ecktürme konnten sich die Besucher ein Bild von dem ausgeklügelten Verteidigungssystem aus dicken Mauern, Treppen und Zugbrücken machen. Die Burg bietet einen Blick auf den Hafen von Sirmione, der ebenfalls von den Scaligern angelegt wurde. Der 47 m hohe Mastino-Turm im großen Hof war im Mittelalter Waffenkammer und Hauptgebäude der Militäranlage.

Der Höhepunkt der Reise war der Fackelzug am Samstagabend, der alljährlich im Juni als ein ganz besonderes Ereignis in der Region um Solferino stattfindet. Rotkreuzler aus aller Welt treffen sich dort, um rund eine Woche lang der Schlacht von Solferino zu gedenken, die Anfänge der Rotkreuz-Idee zu erkunden, sich mit anderen Rotkreuzlern auszutauschen und das humanitäre Völkerrecht zu erspüren. Auch die Gruppe aus Schweinfurt begab sich am Abend erneut nach Solferino, um von der Gedenkstätte der Rotkreuzbewegung, an der Fiaccolata, einem Fackelzug, als Höhepunkt der Feierlichkeiten teilzunehmen. Über 20.000 Teilnehmer, aus der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung und der Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, denen derzeit 187 nationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften angehören, nahmen an diesem Fackelzug teil . Alle diese Organisationen sind voneinander rechtlich unabhängig und innerhalb der Bewegung durch gemeinsame Grundsätze, Ziele, Symbole, Statuten und Organe miteinander verbunden. Die weltweit gleichermaßen geltende Mission der Bewegung – unabhängig von staatlichen Institutionen und auf der Basis freiwilliger Hilfe – sind der Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Würde sowie die Verminderung des Leids von Menschen in Not ohne Ansehen von Nationalität und Abstammung oder religiösen, weltanschaulichen oder politischen Ansichten der Betroffenen und Hilfeleistenden.

Der Fackelzug begann mit einer Veranstaltung am Burgberg von Solferino. Halb Kundgebung, halb Prozession schob er sich durch das Dorf. Lieder, Hochrufe und Trommeln schallten durch die sonst so stillen Gassen. Rot ist die vorherrschende Farbe, sei es als T-Shirt oder als Sicherheitsweste. Das besondere T-Shirt der Schweinfurter Rotkreuzler war ein gerngesehenes Tauschobjekt. Überall an der Strecke waren Zaungäste postiert, die den Zugteilnehmern zujubelten. Der Weg führte, durch Maisfelder und Weingärten, wo einst die verlustreichen Kämpfe tobten über 12 km von Solferino nach Castiglione. Hierher also, in die Kirche von Castiglione delle Stiviere, wurden die Verwundeten und Verletzten hin transportiert - auf einfachen Pferdekarren, an Ambulanzen war noch gar nicht zu denken! Hier in der großen Kirche arbeiteten Dunant und die von ihm organisierten Frauen aus dem Ort Castiglione und pflegten die Wunden der Verletzten, gaben ihnen zu trinken und erleichterten so ihre schmerzvolle Zeit.

Dunant schreibt später darüber:



Dom von Castiglione delle Stiviere.

„Bald war ein Kern von solchen Freiwilligen gebildet und die lombardischen Frauen eilten zu denen, welche am stärksten schrieen, ohne gerade immer die Unglücklichsten zu sein; ich für meinen Theil suchte soviel imer möglich die Hülfeleistung in dem Stadtviertel zu organisieren, welches derselben am nöthigsten hatte, und nahm mich besonders einer der Kirchen von Castiglione an, welche auf einer Höhe liegt [...] und die, wie ich glaube, Chiesa maggiore heißt. Mehr als 500 Soldaten waren hier untergebracht und mindestens noch gegen Hundert lagen vor der Kirche auf Stroh und unter den Tüchern, welche man gegen die Sonnenstrahlen ausgespannt hatte. Die pflegenden Frauen giengen hier mit ihren Krügen und Eimern, die mit klarem Wasser zum Löschen des Durstes und zur Befeuchtung der Wunden gefüllt waren, von Einem zum Andern. Einige dieser improvisirten Krankenwärterinnen waren schöne und niedliche junge Mädchen; ihre Sanftmuth, ihre Güte, ihre schönen mitleidigen und mit Thränen gefüllten Augen, sowie ihre aufmerksame Pflege trugen viel dazu bei, um einigermaßen den moralischen Muth der Kranken zu helfen. Die Knaben aus dem Orte kamen und giengen, um von den nächsten Brunnen Kübel, Krüge und Gießkannen mit Wasser nach der Kirche zu tragen. Auf die Wasserversorgung folgte dann die Austheilung der Fleischbrühen und Suppen, deren die Militärverwaltung in großer Menge zu liefern hatte. Ungeheure Ballen von Charie waren da und dort niedergelegt, damit jeder nach Bedürftigkeit davon nehmen könne, aber an Verbänden, Leinwand und Hemden fehlte es allenthalben ..."



Rotkreuz Museum Castiglione

Die Stimmung war klasse, man lernte viele Leute aus aller Herren Länder kennen. Wenn man sich umschaute, sah man ein Meer von Menschen mit Fackeln. „Das war Gänsehautfeeling pur. Hier kann man die Rotkreuzidee hautnah erleben“ meinte Jürgen Nicklaus, Rettungsassistent beim Roten Kreuz in Schweinfurt.

Am nächsten Morgen ging die Fahrt zum 1959 eingeweihten Denkmal des Roten Kreuzes, das sich auf einem Berg ist am Ende einer Zypressenallee befindet. An einer Wand wird jede nationale Rotkreuz- oder Rothalbmond-Gesellschaft durch eine Steintafel repräsentiert. Auf dem Weg zum Denkmal findet man mehrere Grabsäulen zur Erinnerung an verschiedene an der Schlacht beteiligte Regimenter und ihre gefallenen Soldaten. In der Nähe des Denkmals befindet sich der "Spion von Italien" (Spia d'Italia). Die Plattform des Turms ist für Besucher begehbar, in der Eingangshalle werden wie im Museum einige Erinnerungsstücke an die Schlacht gezeigt.



Solferino: Denkmal des Roten Kreuzes.

Am Nachmittag ging die Fahrt zurück nach Verona. Nach einer Stadtführung mit Stadtführerin Claudia Vaccari begaben sich die Schweinfurter in die Arena um die Oper AIDA von Giuseppe Verdi zu besuchen. In einer kurzen Einführung wies der Vorsitzende des Kreisverbandes, Hartmut Bräuer auf folgendes hin: Obwohl der Vizekönig von Ägypten Giuseppe Verdi beauftragte, diese Oper für die Eröffnung des Suezkanals 1870 zu komponieren, fand die Erstaufführung erst am 24. Dezember 1871 in Kairo statt. Mit der Inszenierung am Theater La Scala in Mailand, sechs Wochen später, wurde Aida weltweit eine der meistweltweit aufgeführten Opern von Verdi, ins besonders im Freilichttheater Arena in Verona. Seither ist die Oper in vier Akten aus den internationalen Häusern nicht mehr wegzudenken. Die tragische Liebesgeschichte von Radames und Aida, die am Ende in einer unterirdischen Grabkammer gemeinsam in den Tod gehen, hat bis in unsere Zeit nichts von ihrer aufrüttelnden Wirkung verloren. Mit einer Inszenierung der katalanischen Künstlergruppe La Fura dels Baus, mit grandiosen und imposanten Innovationen auf der Bühne, fasziniert das Drama aus der Ära der Pharaonenherrschaft mit seinem zeitlosen Stoff und Verdis wunderbaren musikalischen Ideen. Mit Re dem Sonnengott und mit der Schöpfungsgottheit des alten Ägypten, dem im zweiten Akt der Aida verehrten Gott Phtá haben sich die Herren von Fura dels Baus, die Regisseure Carlus Padrissa und Àlex Ollé schon einiges vorgenommen, ist doch ihre heurige Inszenierung in der Arena geprägt vom Vorbild des französischen Solarwärmekraftwerkes in Odeillo in Font Romeu und dessen Heliostaten, welche die Solarkräfte spiegeln und fokussieren. Die afrikanisch-exotischen Musikanklänge (man denke an die so genannten Aida-Trompeten im berühmten "Triumphmarsch"), die Kostüme der Herrscher, Priester, Feldherren und Soldaten sowie die Bühnenbilder mit ihren Imitationen stellen das Thema hier mit viel Moderne dar.



Aida: Die "göttlichen" Sonnenspiegel Per Schiff den Tempel, Fura dels Baus machts möglich, die Krokodile lauern rechts hinten



Am nächsten Tag stand die Rückfahrt in die Heimat an. Müde aber voller Erkenntnisse über die Rotkreuz-Besonderheiten in Solferino und dem Kulturabstecher nach Verona kam die Rotkreuz-Reisegruppe nach 12 Stunden Busfahrt wieder in Schweinfurt an.

Der Vorsitzende Hartmut Bräuer bedankte sich bei allen Teilnehmern aus allen Bereichen des Roten Kreuzes für die Freundschaft und die Verbundenheit, welche sie bei dieser Fahrt an den Tag gelegt haben. Ein besonderer Dank gebührt für die perfekte Organisation dieser Reise dem Kreisgeschäftsführer des BRK-KV Schweinfurt, Herrn Thomas Lindörfer, der immer im Hintergrund für einen reibungslosen Ablauf sorgte.





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